24/7 statt 9 to 5 ? Chancen und Risiken der digitalen Arbeitswelt

Accente on Tour – September 2019

Zeitlich flexibles und ortsunabhängiges Arbeiten ist heute in vielen Unternehmen selbstverständlich. Eine gute Sache, um unterschiedliche Lebensmodelle unter einen Hut zu bekommen. Aber auch herausfordernd für die Kommunikation mit Kolleg*innen – und die Selbstdisziplin? Spannende Einblicke in dieses Thema gab uns Barbara Liebermeister, Gründerin und Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ). Erika Hettich, Accente BizzComm, traf sie zum „Accente on Tour“-Gespräch in Frankfurt.

 

 

Erika Hettich (EH): Liebe Barbara, Du führst ein Institut – wie oft siehst Du denn Deine Mitarbeiter*innen?

Barbara Liebermeister (BL): Wenig genug, weil ich und auch die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, so viel unterwegs sind. Ich persönlich finde das sehr schade, aber wir haben ja zum Glück die digitalen Hilfsmittel des digitalen Zeitalters. Was aber nicht immer nur einfach ist. Wir entwickeln eine gewisse Achtsamkeit dafür, wann das mit der Kommunikation nicht mehr ganz so stimmt und wann wir vielleicht einen Medienbruch machen müssen. D.h. zum Beispiel zumindest einmal zum Telefonhörer zu greifen, wenn man sich nicht direkt sieht. Es ist wichtig, gerade für solche Situationen Routinen und Regeln einzuführen. Zum Beispiel dafür, wann es eben unablässig ist, sich persönlich zu sehen. Solche Regeln sind sehr hilfreich. Das machen aber tatsächlich nur die Wenigsten.

EH: Es geht ja auch darum, das Team zusammenzuhalten. Wie macht man das denn am besten?

BL: Ich habe mir die Regel auferlegt, dass ich digital nicht anders kommuniziere als im persönlichen Kontakt. Das heißt, ich versuche sehr menschlich zu kommunizieren, nicht nur auf der Sachebene etwas zu vermitteln. Das heißt nicht, dass hinter jedem Satz ein Emoji stehen muss. Aber wenn ich zum Beispiel schreibe „Das hast Du wirklich toll gemacht“, soll bei meinem Gegenüber schon der Eindruck entstehen, dass das nicht „fake“ ist. Ich versuche, das Persönliche ins Digitale zu übersetzen. Zum anderen versuche ich, relativ häufig zu kommunizieren. Insbesondere wenn ich den Eindruck habe, dass an irgendeiner Stelle etwas schief gelaufen ist. Da geht es darum, noch einmal rückzufragen, abzustimmen, ob das bei mir richtig ankam und was es damit auf sich hat. Hier hilft manchmal ein Telefonat besser als eine WhatsApp-Nachricht oder eine E-Mail.

EH: Selbstdisziplin ist dabei sicher auch ein großes Thema. Zum Beispiel, wie man sich selbst diszipliniert, solche Regeln auch einzuhalten. Wo in der modernen Arbeitswelt ist Selbstdisziplin denn ein absolutes Muss und wo ist sie vielleicht eher nicht so wichtig?

BL: Eine spannende Frage, die mir in dieser Form tatsächlich noch nie gestellt wurde. Ich weiß gar nicht, an welcher Stelle Selbstdisziplin KEIN Thema wäre. Dass ich höflich bin auch in digitaler Kommunikation; dass ich achtsam bin; dass ich einen Medienbruch herbeiführe, wenn ich merke, dass etwas nicht in Ordnung ist; wenn es um die Zusammenarbeit in agilen Teams geht; wenn es darum geht, wann man sich persönlich sieht; wenn es um Home Office geht… Das sind alles Situationen, die im digitalen Zeitalter vorkommen und jede Situation für sich bedingt ein gewisses Quantum an Selbstdisziplin. Gerade das digitale Zeitalter heißt ja nicht, dass wir alle chaotisch zusammenarbeiten, auch nicht wenn wir im Home Office sind – es obliegt alles bestimmten Regelwerken und die wiederum sind immer gebunden an eine Portion Selbstdisziplin.

EH: Dein Claim bzw. Dein Motto lautet „Erfolgsfaktor Mensch“. Was heißt das genau?

BL: Vor lauter digitaler Umgebung, digitaler Medien, digitaler Transformation lassen wir ganz außer Acht, dass das Digitale durch Menschen entstanden ist und dass wir nach wie vor mit Menschen zusammen arbeiten. Deshalb ist es mir persönlich ein Anliegen, die Menschen dafür zu sensibilisieren und ab und zu mal zu sagen: Hey, die digitalen Medien sind wunderbar und tolle Hilfsmittel – aber vergesst den Menschen nicht. Der Mensch hinter dem Computer oder hinter dem Smartphone hat Gefühle, Träume, Visionen, die bedient werden wollen. Ich finde, daran kann man gar nicht oft genug erinnern.

EH: Das klingt sehr ermutigend und beruhigend (lacht). Was glaubst Du, welche menschlichen Eigenschaften heute und auch in Zukunft wichtig sind?

BL: In allererster Linie: Empathie. Das hat ja auch viel mit Achtsamkeit zu tun. Zu erkennen, wie es mir und wie es anderen geht und sich beispielsweise zu fragen: Bin ich an der Stimmung für andere maßgeblich beteiligt? Kann oder will ich daran als Führungskraft etwas ändern? Das Zweite ist: Wenn wir uns mit neuen Geschäftsprozesse, neuen Produkten und neuen Technologien beschäftigen, sind Neugierde und Mut unabdingbar. Wenn ich mich vor dem verschließe, was kommt, dann entwickle ich mich, mein Unternehmen und auch die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, nicht weiter. Und Neugierde erfordert eben auch Mut. Ich kann mich nicht auf alles 100 Prozent verlassen. Bei Situationen, die in der Vergangenheit in der Form vielleicht noch nicht aufgetreten sind, heißt es für Führungskräfte auch abwägen zu können: Wann kann ich diesen Weg gehen, mutig, mit meinem Team gemeinsam – und wann nicht.

EH: Auf was sollten Unternehmen aus Deiner Sicht in der modernen Arbeitswelt vorbereitet sein? Vor allem, wenn Menschen jetzt zunehmend mit Maschinen zusammenarbeiten.

BL: Unternehmen müssen es schaffen, jedem Menschen zu vermitteln, wie sinnvoll seine oder ihre Arbeit ist. Nur so nimmt man den Menschen die Angst, dass sie durch Maschinen ersetzt werden könnten. Das impliziert auf der anderen Seite aber auch, dass ich die Menschen weiterentwickle und mich als Unternehmen – im besten Fall noch mehr als in der Vergangenheit – auf Stärken und Talente konzentriere. Dass ich als Führungskraft meinen Mitarbeiter*innen vielleicht sogar Stärken aufzeige, die sie bis dahin selbst noch nicht kannten. So schaffen wir es, dass die Menschen mit ihren jeweiligen „Stärken-Packages“ weiterentwickelt werden und es locker mit den Maschinen aufnehmen können.

EH: Welche Werte sind denn wichtig im digitalen Zeitalter?

BL: Mein Lieblingswert, den ich leider immer seltener erfahre – nicht nur seltener höre, sondern erfahre – ist Demut. Das ist sehr eng daran gekoppelt, dass wir uns unserer Leistung, unserem Zweck, unserem Sinn, bewusst werden und so eine Art Dankbarkeit empfinden. Weitere wichtige Werte sind für mich Wertschätzung und Augenhöhe. Das finde ich besonders spannend: Wenn wir uns im so kühlen und technologisch geprägten Zeitalter auf menschliche Werte und Wertschätzung fokussieren, dann hat das eine ganz wunderbare Bewandtnis und unterstreicht noch einmal, wie wichtig der Mensch auch im digitalen Zeitalter ist.

EH: Ein fantastisches Schlusswort (lacht). Vielen Dank, Barbara Liebermeister bei Accente on Tour.