Per Videokonferenz zur Diagnose – Neues aus der Telemedizin

Accente on Tour – Juni 2019

Arztbesuch per Videosprechstunde, virtuelle Fachärzteteams für schwierige Fälle oder digitales Rezept: E-Health-Anwendungen könnten viele Versorgungsprobleme der Medizin lösen. Welche Potenziale birgt die Telemedizin – und wie lassen sich dabei unsere persönlichen Daten schützen? Darüber sprach Sieglinde Schneider, Accente BizzComm, mit Dr. Bettina Zippel-Schultz, Leiterin des Innovationsmanagements bei der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke in Berlin.

 

 

Sieglinde Schneider (SC): Willkommen, Frau Dr. Zippel-Schultz. Die Deutsche Stiftung für chronisch Kranke ist eine Gesellschaft, die innovative Forschung dazu betreibt, wie die Patientenversorgung verbessert werden kann. In diesem Zusammenhang beschäftigen Sie sich mit verschiedenen Modellen der telemedizinischen Versorgung und sind daher unsere Ansprechpartnerin für das Thema digitale Entwicklungen in der Medizin. Wie würden Sie denn einschätzen, wo wir heute stehen – was ist wirklich neu an der Telemedizin?

Bettina Zippel-Schultz (BZS): Neu ist Telemedizin eigentlich nicht, denn wir haben schon relativ lange Ansätze, die sich damit beschäftigen, wie Daten von A nach B gelangen, ohne dass der Patient beim Arzt vor Ort sein muss. Insofern gibt es da schon länger Versuche und praktikable Lösungen. Problematisch ist es allerdings, solche Ansätze in das deutsche Gesundheitssystem zu integrieren. Im Moment haben wir verschiedene große, ländliche Gebiete, wo immer weniger Ärzte sind. Dort ist die Versorgung in der Fläche zunehmend schlechter und Patienten müssen teilweise lange Wege fahren, um zu ihrem Hausarzt zu kommen – und dort vielleicht auch noch sehr lange Wartezeiten in Kauf nehmen. So etwas könnte man durch digitale Lösungen durchaus vereinfachen.

SC: Das ist das, was wir als telemedizinische Versorgung kennen. Sie, die Stiftung, sind da ja sehr stark im Bereich der Herzerkrankungen aktiv, wo es darum geht, Patienten, die eine Herztransplantation oder einen anderen Eingriff in einer Klinik erhalten haben, nachzuversorgen.

BZS: Genau. Es geht vor allem auch um chronische Erkrankungen, da man diese gut begleiten kann. Es gibt Patienten mit einer Herzinsuffizienz – also einer Herzschwäche – die nach einem erlittenen Ereignis mit verschiedenen Sensoren ausgestattet werden und damit nach Hause gehen. Da gibt es einerseits Implantate wie Herzschrittmacher oder Defibrillatoren, aber auch externe Sensoren wie eine einfache Körperwaage oder ein Blutdruckmessgerät. All diese Geräte können Daten übertragen, die von einem entsprechend qualifizierten Arzt bzw. einem Telemedizinzentrum ausgewertet werden können. So entsteht die Möglichkeit, Patienten zu monitoren. Zum Beispiel wurde von uns in Rheinland-Pfalz ein Projekt eingeführt, wo die Patienten Waage und Blutdruckmessgerät für Zuhause erhalten haben und dort regelmäßig von den Krankenschwestern angerufen wurden. Für den Fall, dass sich Werte oder Symptome verschlechtert haben, gab es einen Alarm und entsprechend definierte Handlungsanweisungen, wie das Telemedizinzentrum – in diesem Fall im Westpfalzklinikum – darauf reagieren soll.

SC: Es ist ja vorstellbar, dass jenseits dieser telemedizinischen Nachversorgung noch eine ganze Menge mehr möglich wäre. „Doktor Google“ zum Beispiel ist ein gern genutzter Zugang, bevor Menschen zum Arzt gehen. Sehen Sie da Möglichkeiten – zum Beispiel in der Entwicklung eines virtuellen Arztes, der die Patienten im Vorfeld oder im Anschluss betreut?

BZS: Genau – und man kann ja eigentlich beides machen. Zum einen können durch maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz die Ärzte unterstützt werden, damit sie komplexeres Wissen noch besser verarbeiten oder auch einfach mehr Informationen aufnehmen und mit ihrem eigenen Wissen ergänzen können. Wir können diese Technologien – maschinelles Lernen oder künstliche Intelligenz – aber auch den Patienten an die Hand geben. So stärken wir das Wissen der Patienten, damit sie ein angemessener Gesprächspartner für die Ärzte sind.

SC: Wie sieht es derzeit aus mit dem Vertrauen, das Patienten in diese Systeme haben? Denn es bedeutet ja, dass sie Daten und Informationen über sich selbst abgeben. Machen Patienten da gerne mit, weil der Nutzen unter dem Strich für sie größer ist – oder gibt es eher Skepsis?

BZS: In unseren Telemedizin-Projekten haben die Patienten das schon gemacht. Allerdings muss man dazu sagen, dass es sich hier um eine Selbstauslese der Teilnehmer handelt. Die Patienten, die es nutzen, hatten anfänglich Bedenken, die aber ausgeräumt werden konnten. Diejenigen, die große Bedenken oder sogar Angst davor haben, nutzen es dann auch nicht. Man muss Rahmenbedingungen erzeugen, die Vertrauen schaffen. Benötigt werden Qualifizierungen, Qualitätssicherungsmaßnahmen und auch eine gewisse Transparenz. Im Endeffekt: Jeder vertraut ja seine Daten der Bank an – warum also nicht auch jemand anderem. Aber es braucht eben Mechanismen, die für alle Beteiligten – Ärzte, Patienten – transparent machen, wie die Daten gesichert sind und wer Zugriff auf diese Daten hat. Damit kann man aus meiner Sicht Vertrauen schaffen.

SC: „Technikskepsis-Land Deutschland“, heißt es ja gerne mal. Wie stehen wir im internationalen Vergleich beim Thema Telemedizin? Sowohl seitens der Patienten als auch seitens der Ärzte, denen diese Ansätze potenziell Business wegnehmen?

BZS: Deutschland ist da etwas langsamer als andere benachbarte Länder. Zum Beispiel in Belgien, in den Niederlanden oder in Frankreich werden deutlich mehr Initiativen eingeführt, die auch flächendeckend funktionieren. Schaut man sich einmal die Gesundheitsakte in Deutschland an, sieht man ja, in welchen Schritten das hierzulande voran geht. Ich finde es schade, dass der Innovationsstandort Deutschland, der doch immer für seine Technikaffinität und Ingenieurskunst stand, da etwas ins Hintertreffen gerät.

SC: Blicken wir noch einmal auf die Chancen: Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um die Menschen darauf vorzubereiten, diese neuen Möglichkeiten in der Medizin gut und vertrauensvoll zu nutzen?

BZS: Ich glaube, wir brauchen einen Dialog zwischen allen Akteuren, Transparenz der Aktionen – was macht wann wer mit meinen Daten – und gewisse rechtliche und ethische Rahmenbedingungen, anhand dener wir agieren können. Damit uns die Technik nicht überrennt, sondern wir die Technik kontrollieren.

SC: Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Zippel-Schultz.