ABC-Kalender Oktober 2017: Nein, 没有, no – Streiten für Weltenbummler

„Der“ Deutsche fixiert sein Gegenüber und kritisiert ganz ungeniert; „der“ Chinese nickt, lächelt freundlich und denkt sich „auf gar keinen Fall“; „der“ Lateinamerikaner gestikuliert wild und beschallt in einer Auseinandersetzung die ganze Nachbarschaft. So weit, so stereotyp. Dahinter steckt jedoch die Erkenntnis, dass Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihre Konflikte recht unterschiedlich austragen. Verbal oder nonverbal, offen oder subtil, von Angesicht zu Angesicht oder über Dritte.

Schlagkräftige Argumente überzeugen (nicht)
Ein Abgeordneter der Opposition im Parlament springt von seinem Sitz auf, eilt durch den Plenarsaal zur Regierungsbank und versucht, den verdattert dreinschauenden Minister zu ohrfeigen, woraufhin sich ein Handgemenge im gesamten Saal entwickelt. Im deutschen Bundestag undenkbar? Hier wird man zwar auch mal laut, fällt dem politischen Gegner ins Wort oder bezichtigt ihn der Lüge. Unvergessen ist der Ausbruch des Grünen-Politikers Joschka Fischer 1984: „Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!“ Bislang ist es in der Geschichte der Bundesrepublik jedoch bei Wortgefechten und vereinzelten verbalen Entgleisungen geblieben. Parlamentsvertreter in anderen Ländern sind da mitunter weniger zimperlich. Ob in der Ukraine oder der Türkei, in Taiwan, Südafrika oder Venezuela – in vielen Teilen der Erde machen Politiker im öffentlichen Raum ihrem Ärger auch mal mit schlagkräftigen Mitteln Luft. Gutheißen muss man das trotzdem nicht. Wer seine Argumente nicht mehr anders zu vertreten weiß, der hat die Legitimität seiner Position verspielt.

Business as unusual
In der Wirtschaftswelt sind zwar Handgreiflichkeiten als Konfliktlösungsstrategie eher selten angesagt, dafür ist hier so manch einer im Gespräch mit Geschäftspartnern oder Kunden aus anderen Erdteilen buchstäblich „lost in translation“. Wenn Sie Probleme offen ansprechen und frei heraus sagen, wenn Ihnen etwas nicht passt, sind Sie vermutlich in Westeuropa oder Nordamerika sozialisiert. Da kann es schon einmal passieren, dass Ihnen die subtilen Zeichen Ihres ostasiatischen Verhandlungspartners komplett entgehen. Warum laviert er so um das Thema herum, statt zu sagen, was Sache ist?! Weil offene Konfrontation – so berechtigt und auf sachlichen Argumenten gegründet sie auch sein mag – für ihn gleichbedeutend ist mit Gesichtsverlust und Zerstörung der Harmonie. Wer also geschäftliche Beziehungen zu China, Japan oder Südkorea unterhalten will, tut gut daran, diese Unterschiede zu kennen und entsprechend zu agieren.

In einer globalisierten Welt, in der mittelständische Unternehmen ebenso wie Großkonzerne täglich internationale Kontakte pflegen, ist interkulturelle Kompetenz das oberste Gebot. Niemand muss diese Besonderheiten schon qua Geburt alle kennen – aber man kann lernen, sensibel mit ihnen umzugehen. Wer sich wie die sprichwörtliche Axt im Wald benimmt, wird seine Geschäfte schon bald eher im Nachbarort als auf der anderen Seite der Erdkugel machen.