ABC-Kalender August 2017: Hashtag SchoenerStreiten

Kommunikationsagentur Wiesbaden

Die Digitalisierung ist ein großes Geschenk für die Kommunikation – mehr als jemals zuvor können wir uns unterschiedlicher Quellen bedienen, widerstreitenden Positionen aussetzen und mit Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel diskutieren. Im Zeitalter der sozialen Medien, in denen jede und jeder, jederzeit und überall zum „content generator“ werden kann und alles kommentierbar ist, gewinnt aber auch das Vorhandensein gewisser kommunikativer Benimmregeln eine völlig neue Relevanz. Welche Beiträge sind legitime Kritik an Personen und Zuständen, ab wann gilt ein Post als Hasskommentar oder Hetze? Was ist freie Meinungsäußerung und wo muss zensiert werden? Dort, wo nicht mal mehr diejenigen, die es sein könnten und sollten, Vorbilder für eine tragfähige öffentliche Streitkultur sind, wird es Zeit, gegen die Vertwitterung der öffentlichen Debatte einzutreten.


Veritabler Unsinn vs. strafbarer Hass
Jeder, der schon einmal die Leserkommentare unter einem halbwegs kontroversen journalistischen Beitrag bei Spiegel Online, faz.net oder bild.de gelesen hat, weiß, welche blutdrucksteigernden Effekte die Lektüre mancher Auslassungen haben kann. Aber letztlich müssen wir diese Art des „gepflegten“ Meinungsaustauschs ertragen, solange dabei die Grenzen der Gesetzmäßigkeit gewahrt sind. Wie im realen Leben bleiben in solchen Fällen auch im Digitalen stets zwei Handlungsoptionen: entweder man macht den Mund auf und argumentiert dagegen – oder man dreht sich um und geht. Für darüber hinausgehende justiziable Äußerungen ist nicht die Community zuständig, sondern die Gerichte und, wenn es nach dem neuem Netzwerkdurchsetzungsgesetz geht, auch die Internet-Unternehmen und Plattform-Betreiber selbst. Justizminister Heiko Maas will durch das auch als „Facebook-Gesetz“ bekannt gewordene Regelwerk nach eigener Aussage „das verbale Faustrecht im Netz“ beenden und die Meinungsfreiheit aller schützen. So weit, so gut. Doch was tun gegen den vielerorts beklagten digitalen Sittenverfall, der mitunter grundlegendste Benimmregeln vermissen lässt?

Make Streitkultur great again
Wieder einmal kann Donald Trump als „So nicht, liebe Kinder“-Ausstellungsstück par excellence herangezogen werden. Der US-Präsident nutzt digitale Kanäle – insbesondere den Microblogging-Dienst Twitter – geschickt dazu, kurz und knackig gegen all diejenigen auszuteilen, die es wagen, seiner gefühlten Omnipotenz Fakten entgegenzusetzen. Kostproben gefällig? Die New York Times pflegt eine stetig aktualisierte Liste, in der alle Menschen, Orte und Dinge gesammelt werden, die Trump via Twitter beleidigt. In den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit hat Trump sage und schreibe 1.002 Tweets abgesetzt. Durch seine Kommunikation oder auch die seines inzwischen geschassten Pressesprechers Sean Spicer in der analogen Welt kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass auch dort inzwischen eine Art Vertwitterung der Debatte stattfindet. Differenzierte Auseinandersetzung oder argumentativer Schlagabtausch unerwünscht. Was nicht der eigenen Weltsicht entspricht, wird mit einem kurzen „That’s fake news“ abgewatscht. Lassen Sie uns dem etwas entgegensetzen und auch weiterhin für den Streit streiten! Nehmen wir uns ein Beispiel am pensionierten Lehrer Wolf Melzer, der seit zehn Jahren unermüdlich in tausenden von Online-Kommentaren gegen Hass und Hetze, gegen Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker und Trolle anschreibt. Argumente müssen differenziert vorgetragen, vermeintliche Fakten sorgfältig überprüft werden. Und, wie es Dirk von Gehlen im Hinblick auf Kommentare im Netz ausgedrückt hat: „Brüllkommentare sind vielleicht ein Problem, das man offline lösen muss.“