Identität. Ein bedeutungsschwangerer Begriff. Der Duden bezeichnet Identität unter anderem als die „Echtheit einer Person oder Sache“, die „völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird“ und weiter „als ‚Selbst‘ erlebte innere Einheit der Person“. So weit, so kompliziert. Darf man über Identität streiten, wo sie doch die „Echtheit einer Person oder Sache“ bezeichnet? Die Antwort lautet: es kommt darauf an.
Zeig mir Dein Leitbild und ich sag Dir wer Du bist
Über Identität im Kontext von Unternehmen darf sehr wohl und ausgiebig gestritten werden. Welche Aspekte definieren das Profil einer Firma? Worin sieht ein Unternehmen die eigene Identität, das eigene Selbst? Die Meilensteine eines solchen Profils werden häufig in unternehmerischen Leitbildern festgehalten. Sie wirken zunächst nach innen, für die eigenen Mitarbeiter, aber ebenso auch nach außen – für Kunden, Geschäftspartner und potenzielle Mitarbeiter. Bevor ich eine Bewerbung an Unternehmen XY absende, kann ich mich darüber informieren, wofür dieses Unternehmen steht, was ich dort erwarten darf – und was eben auch nicht. Doch Papier ist geduldig und wenngleich ein bestimmter Kern von Werten ein Unternehmen ausmacht, so wandeln sich die gelebten Werte doch mit jedem neuen Mitarbeiter, der das Unternehmen mit seiner ganz eigenen Identität bereichert.
„Schweinebraten statt Döner“?
Auch über „politische Identität“ und „nationale Identität“ wird mitunter heftig gestritten. Bei einer solchen Debatte gerät man sehr schnell in schwierige Gewässer mit enorm kontroversen und letztlich unvereinbaren Positionen. Im Oktober 2010 platzierte der damalige CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, den Begriff „freiheitliche deutsche Leitkultur“ und hat damit gleichermaßen heftige Empörung und leidenschaftliche Zustimmung ausgelöst. Merz wollte damit vor allem eine Auseinandersetzung über „Regeln für Einwanderung und Integration“ anstoßen. Regeln, an die sich jeder Mensch, der in Deutschland leben will, zu halten hat. Bereits 1952 hat das Bundesverfassungsgericht auf Basis des Grundgesetzes die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ der Bundesrepublik Deutschland näher definiert. Dieser Verfassungskern, zu dem unter anderem das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung sowie die Volkssouveränität zählen, kann innerhalb des demokratischen Spektrums als absoluter Konsens angesehen werden. Doch jenseits davon kann über die Frage des „typisch Deutschen“ herzhaft gestritten werden, „richtig“ und „falsch“ gibt es nicht.
Es lebe die Vielfalt
Nicht zu streiten ist allerdings über Wesensmerkmale, welche die Identität eines Menschen bestimmen. Alter, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, religiöser Glauben und einige weitere. Es kommt einem inzwischen fast wie ein Allgemeinplatz vor: Vielfalt ist bereichernd, Vielfalt ist toll, es lebe die Vielfalt. Fast jedes größere Unternehmen, das etwas auf sich hält, hat inzwischen eine Abteilung für „Diversity & Inclusion“, Unternehmensinitiativen wie die „Charta der Vielfalt“ erfreuen sich wachsender Beliebtheit. In immer mehr Führungsetagen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Anerkennung des gesamten menschlichen Kaleidoskops ein „business case“ ist und man es sich schlichtweg kaum leisten kann, dies zu negieren. Doch: zwischen Image-Broschüren und Kantinen-Alltag klafft nicht selten eine erhebliche Lücke. Wäre es für einen Top-Manager eines DAX-Konzerns wirklich keine große Sache, sich als schwul zu outen? Sind Menschen mit einer Schwerbehinderung tatsächlich integriert? Echauffiert sich wirklich keine der Kolleginnen heimlich über die Kopftuchträgerin im Büro nebenan? Niemand mag erhobene Zeigefinger – aber wir alle täten gut daran, unsere eigenen Bretter im Kopf gelegentlich ein bißchen durchzubohren und jeden so sein zu lassen, wie er ist.